Wenn nur wenige Häuser entfernt die Armut wohnt

Nach unserem einwöchigen Besuch in Brüssel bleiben bezüglich des Unterschiedes zwischen Arm und Reich nur erschreckend ernüchternde Fakten über. Armut ist nicht nur der Nachbar vom Reichtum sondern sie scheinen irgendwie auch ineinander verstrickt zu sein. Doch räumen wir die Sache von vorne auf.

 

Kommt man über die Autobahn direkt nach Brüssel, so steckt man häufig direkt drin: im heiteren Stadtleben einer Europastadt. Hektische Menschen laufen, um ihre Busse und Straßenbahnen zu bekommen, die Straßen aufgrund vom starken Berufsverkehr überfüllt und man selbst mitten drin in einer fremden Stadt, die aufgrund des Europäischen Parlaments Ruhm und Glamour verspricht. Auf den Straßen zeichnet sich schon jetzt ein Multi-Kulti ab. Von hell- bis dunkelhäutigen, von schick bis schlabberig, von Politikern bis normale Beamte, vertreten ist auf einer Straße in Brüssel alles was laufen kann.

 Doch nur wenige Meter entfernt fahren wir in eine Seitengasse, die die andere Seite des Stadtleben widerspiegelt. Das Europaviertel zeigt eine Anzahl von Reihenhäusern, 2-3 Stockwerke hoch mit einem winzigen Balkon, der aber häufig nur genutzt wird, um den Müll dort zu lagern. Die Häuserwände von Abgasen und Smog leicht schwärzlich, zwischendrin gar ganz leerstehende Häuser. Von Europa spürt man hier noch nicht viel und doch stellt man später dann fest, sind die tollen Hotels häufig nur auf der Rückseite dieser Häuserfronten. Unvorstellbar aber wahr, zwischen Glamour und Normalität liegt nur eine Straße.

 Aufgeräumt ist es jedoch überall. Liegengelassener Müll auf den Straßen ist in diesen Mengen für eine Hauptstadt normal. Und so kommt man dann irgendwann an, in seiner Jugendherberge, die direkt im Herzen Brüssels liegt, nicht fern von allen touristischen Attraktionen, nicht fern vom den Geschäften die Wohlstand zeigen, aber auch nicht fern von der Realität abseits des Rummels.

 Und doch überschattet einen erstmal alles was blinkt, leuchtet und glänzt, so wie der Grand Place oder gleich eine ganze Straße voll mit Restaurants, die sogenannte „Fressmeile“. Auch am nächsten Tag strahlen einen die gepflegten Glasfassaden des Parlaments nur so an. Hotels, Taxis, noch teurere Geschäfte, eben das was Europa braucht, oder nicht? So steht man umgeben von riesigen Glastürmen am Eingang des Europäischen Parlaments und bestaunt, fotografiert oder kommentiert alles. Vergessen sind längst die Eindrücke des Vortages von Menschen, die nur einen Katzensprung entfernt wohnen und doch wären es tausende von Kilometern, die sie überwinden müssten, um den Standard zu erreichen, der hier gelebt wird. So steht man also da, fasziniert vom Design, von Architektur, von allem!

Nicht zu vergessen welch ein Aufwand gemacht wird, um Politiker zu schützen. Aufgrund des Asien-Gipfels zu dieser Zeit waren überall Absperrungen vorgenommen. Stacheldrahtzäune, schwerbewaffnete Polizisten, Hubschrauber und das schon fast berühmte Sirenengeräusch wohin man sah und hörte. Kamerateams, die stundenlang warteten und Polizisten, die den ganzen Tag stillschweigend sich an den Grenzen die Beine in den Bauch standen. Grenzen? Wofür standen sie? Was trennten sie? Trennen sie das Leben eines Besseren von uns Normalen?

Wollte man jedenfalls den ganzen Tag Aufmerksamkeit, so war man dort wahrlich richtig aufgehoben. Überwältigt war man ja gar von soviel Trubel, den man von unserer ruhigen Heimatstadt nun mal gar nicht gewöhnt ist.

 Jedoch wurde man den nächsten Tag auch gleich wieder unsanft aus diesem Traum erweckt. Auf dem Weg zum Gare du Nord von Brüssel gingen wir durch ein Armenviertel. In dieser dunklen Atmosphäre war einem dort bei Leibe nicht ganz wohl. Obwohl wir nur in Dunkelheit dadurch gingen, hatte ich das Gefühl, dass auch am Tag kein Licht in diesen Stadtteil kommt. Auch sie wohnen nur wenige Meter vom Geschäftsleben fern und doch scheinen Barrieren zwischen ihnen zu liegen, die unüberwindbar sind. Es war das erste Mal, dass deutlich ein Unterschied zu erkennen war. Die Straßen, ungerade und löcherig, vereinzelt leere Bierflaschen zu sehen und überschattet wurde alles von einem unglaublichen Gestank. Des Weiteren wurden wir praktisch Zeuge von einem Mülleimerbrand, der offensichtlich von Jugendlichen angesteckt worden ist. Ein Aufgebot an Polizei und Feuerwehr rauschte an uns vorbei, während wir nur schnell zusahen dort wieder wegzukommen. Warum? Es war die Unsicherheit, die es einem unmöglich machte länger stehen zu bleiben, die Angst selbst Opfer zu werden. Womöglich war es auch einfach menschlich dort weg zu wollen. Immerhin konnten wir fliehen von dieser Realität, andere jedoch sitzen fest, für sie ist das, für uns so Ungewöhnliche, wahrscheinlich schon Normalität. Sie selbst fürchten wahrscheinlich keinen mehr als sich selbst, denn man sollte nicht nachdenken, über den Status, den man besitzt, wenn man in so einer Gegend wohnt.

Doch stellte man fest, dass die Armut wirklich nur wenige Häuser von einem selbst entfernt wohnte, dass die Leben in ein und der gleichen Stadt nicht unterschiedlicher hätten sein können und dass trotzdem alles seinen Lauf nimmt. So leben die Reichen in Hotels direkt im Zentrum Brüssels, während andere nur wenige Meter entfernt ums Überleben kämpfen. Es mag klischeehaft klingen, doch genau darin besteht leider die Realität in Brüssel.

 Die Fokussierung auf die wichtigen politischen Ereignisse eine Jahres steht so sehr im Mittelpunkt, dass selbst einfachste Maßnahmen nicht möglich scheinen, um ein ausgeglichenes Leben zu erreichen. Keinesfalls als Anklage Brüssels gemeint, denn auch in anderen Städten gibt es immer diese Differenzen zwischen Arm und Reich, doch gerade in Brüssel, dem „Vorbild“ Europas erwartet man häufig mehr Bewusstsein im Umgang mit der unteren als auch oberen Sicht. Doch solange sie sich diesem Problem nicht bewusst werden, bleibt es wohl so klischeehaft, dass Armut in Städten häufig der direkte Nachbar vom Reichtum ist.

                                                                                                      (von Julia)

~ von ernestinum2 - November 19, 2010.

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